Herzlich Willkommen
Wir erinnern an Herrn Oskar Lehmann
Oskar Lehmann wurde am 24. Mai 1914 als Sohn des Friseurmeisters Franz Lehmann und seiner Frau Frieda Lehmann, geb. Basler, in Hausach geboren. Er wuchs mit seinen beiden Schwestern hier auf. Von 1921 – 1929 besuchte er die Volksschule. Als gelernter Friseur arbeitete er im väterlichen Betrieb. Sein militärischer Werdegang aus den Unterlagen der Deutschen Dienststelle für die nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht lautet wie folgt:
1935 Musterung
11.12.1939 Einberufung zum 3. Landwehr Infanterie- Regiment.
Zugang vom Wehrmachtsgefängnis Torgau Fort Zinna
Mit einer solchen nahezu tabellarischen Auflistung werden wir jedoch dem Menschen Oskar Lehmann wahrlich nicht gerecht. Was für eine Person war Oskar Lehmann? Was mögen die Beweggründe für die Fahnenflucht gewesen sein? Welche Rolle spielte möglicherweise die politische, religiöse Gesinnung der Familie? Wer im Ort wusste von der Fahnenflucht? Was passierte nach der Verurteilung wegen „Wehrunwürdigkeit“? Wo befand sich Oskar Lehmann in der Zeit von der Verurteilung bis zur Verlegung ins Wehrmachtsgefängnis? Wo verbrachte er seine letzten Kriegstage?
Eine Vielzahl offener Fragen.
Das Bild, das sich durch die Befragung der wenigen noch verbliebenen Zeitzeugen ergab, war geprägt von Fakten, aber auch vielfach von Halbwahrheiten, Vermutungen, Annahmen, was nach einer solchen langen Zeit nicht überrascht.
erschossen.
Nein, so konnten und wollten wir dieses Schicksal nicht abschließen, zumal wir durch den Kontakt mit den Verwandten in unserem Bemühen um eine detaillierte Aufarbeitung bestärkt wurden. Aus einer Vielzahl von Gesprächen, Recherchen und Quellen entwickelte sich über Jahre hinweg diese gesicherte Biographie:
Mit 7 Jahren wurde Oskar Lehmann, Sohn von Franz und Friede Lehmann, eingeschult. Oskar war in seinen 8 Volksschuljahren, 1921 – 1929, überaus fleißig und zuverlässig. Er zeichnete sich vor allem in den Fächern Turnen, Zeichnen aber auch Naturlehre aus. So ist auch nicht verwunderlich, dass sich ein Zeitzeuge daran erinnert, dass
„Oskar Lehmann ein begabter Elektroniker war und Radios verkaufte.“
„Ein hübscher, junger Mann!“, so nicht nur eine Zeitzeugin.
Eine Liebschaft ist dokumentiert. Das in der vergangenen Woche veröffentlichte Portrait, befindet sich auch noch nach über 70 Jahren im Besitz der Verwandtschaft seiner Angebeteten, so eine Information aus den vergangenen Tagen.
So ein Schriftzug auf einem weißen Laken.
Wo hing dieses Tuch genau? Wer sollte hier denunziert werden? Die Lehmanns hatten ihr Friseurgeschäft zu Beginn der NS-Herrschaft im Haus des 1929 von Emil Falk erworbenen Anwesens mit Werkstatt und Benzinzapfsäule, also die spätere Apotheke Iff am Gewerbekanal neben der Volksschule.
Der Besitz ging alsbald an seinen Sohn Eugen Falk – später Eugen Falk-Breitenbach - über, der ab 1933 aktives NS-Parteimitglied, Kulturwart, Filmstellenleiter war. Die Verunglimpfung auf dem Transparent galt Frieda Lehmann. Somit war dies sicher alles andere als eine konfliktfreie Hausgemeinschaft.
Familie Lehmann zog dann ins Hinterhaus des Gasthauses/Cafe Linde (später Friseur Lauble), von dort letztendlich in die untere Hauptstraße, Adolf-Hitler-Straße, westlich der Bäckerei Kittler, wo sie weiterhin ein Friseurgeschäft betrieb.
Ab diesem Zeitpunkt standen uns nur die bereits genannten Daten der Informations-zentrale in Berlin zur Verfügung. Zu wenig.
Eine Anfrage bei der „Stiftung Sächsische Gedenkstätten“, die auch das Dokumentations- Zentrum in Torgau betreut, verlief negativ. In den ehemaligen Gefängnisunterlagen war ein Oskar Lehmann nicht auffindbar.
Entscheidend weiter brachte uns der Hinweis „Bibelforscher“, obwohl Oskar Lehmann in seiner Schulzeit stets am katholischen Religionsunterricht teilgenommen hatte. Das Geschichtsarchiv der Jehovas Zeugen in Selters findet auf unsere Anfrage in den zentralen Opferkarten den Namen Oskar Lehmann nicht – aber einen Hinweis auf Franz und Frieda Lehmann aus Hausach. Beide hätten in Mannheim vor Gericht gestanden. Jedoch keine weiteren Details. Das Landesarchiv Freiburg verwies uns an das Generallandesarchiv in Karlsruhe.
Von dort die Antwort:
„Im Bestand 507 Sondergericht Mannheim Nr. 6762 fand u.a. ein Verfahren gegen Johannes Zander aus Oberwolfach sowie Franz und Frieda Lehmann
aus Hausach statt.“
Aus den uns komplett vorliegenden Gerichtsunterlagen geht folgendes hervor:
Im Vernehmungsprotokoll der Gendarmerie Wolfach gegen Hans Zander vom 30. Jan. 1937, das an die Staatsanwaltschaft Offenburg und die Gestapo weitergeleitet wurde, taucht der Name Lehmann auf, deren Haus durchsucht und die ebenfalls vernommen wurden.
Der Vorwurf lautet:
„Illegale Tätigkeit der verbotenen Internationalen Vereinigung
ernster Bibelforscher.“
Informationen über diesen Vorgang gingen bis an den Volksgerichtshof in Berlin.
Die Eheleute Lehmann, in deren Personalienbogen u. a. vermerkt ist, dass sie „angeblich nicht vorbestraft sind, aber auch keiner Parteigliederung als Mitglied angehörten“ , konnten glaubhaft darlegen, dass sie nach dem Verbot der Bibelforscher 1933 sporadisch Broschüren erhalten, diese jedoch nicht weitergegeben hätten und der Kontakt zu dem entsprechenden Personenkreis mehr und mehr abnahm.
Trotz des Freispruchs waren die Repressalien unübersehbar. So im Urteil vom 26. März 37:
„Der Lehmann wird von der Ortsgruppe geschäftlich boykottiert,...
„Es wurde den Beschuldigten erklärt, dass bei einer weiteren Betätigung andere Maßnahmen ergriffen werden müssen.“
Am 12. März vermerkt Kriminalassistent Mai:
„Die Beschuldigten werden weiterhin durch die Gendarmerie Hausach und Gestapo Offenburg überwacht und diese werden gegebenenfalls das Weitere gegen sie veranlassen.“
Gestapo Offenburg:
„Man wird also auf die Beschuldigten weiterhin achten müssen.“
Wie sah die Situation vor Ort aus?
Eine Zeitzeugin: „Vor dem Geschäft stand eine Tafel der Ortsgruppe der NSDAP, worauf zu lesen war, dass die Bürger das Friseurgeschäft meiden sollten.“
Die Schilderung ist schon deshalb glaubhaft, weil die Familie der Zeitzeugin größte Angst um Ehemann und Vater hatten, der sich von dieser Warnung nicht im Geringsten beein-drucken ließ. Sicher kein Einzelfall. Aber für andere war das objektiv vorhandene persönliche Risiko sicher zu groß.
Wir erinnern uns an das Prozessdatum: Febr./März 1937.
Frieda Lehmann starb am 19.04.1938 im Alter von 51 Jahren
Franz Lehmann starb am 24.12.1939 im Alter von 54 Jahren.
Welche Konsequenzen hatte diese öffentliche Ausgrenzung für die Kinder, für Oskar?
Lag hierin die Ursache für seine Fahnenflucht begründet? Wir wissen es nicht.
Belegt ist die Einberufung zur 14. Landwehr-Division in Freiburg 1939, die am Westfeld-zug teilnahm. Oskar Lehmann desertierte während eines Fronturlaubes, wurde verraten.
Ein Zeitzeuge:
„Die Hitler Jugend hat nach ihm gesucht, auch ich war dabei.“
Nach seiner Verhaftung wurde er am 18. Dezember 1940 von einem Kriegsgericht als „wehrunwürdig“ aus der Armee ausgeschlossen. Was passierte jedoch in der Zeit von Dezember 1940 bis Februar 1943?
Kristina Brümmer-Paulys Buch: „Desertion im Recht des Nationalsozialismus“
half, Lücken zu schließen:
„...auf Verlust der Wehrwürdigkeit war zu erkennen bei einer Verurteilung zum
Tode oder einer Zuchthausstrafe...“
„...der Verurteilte wurde dann in der Regel in eines der sogenannten Ems-
landlager überwiesen“
„...zu einer Bewährungstruppe (z.B. 561/Skierniewice) sollte er dann versetzt
werden, wenn die eigene Truppe weder an der Front, noch an schwierigen
oder gefahrvollen Umständen eingesetzt war...“
„...Verurteilte, ..., mussten vorher mindestens einen Monat im Wehrmachtsgefängnis Torgau Fort-Zinna überprüft werden.“
Marcus Herrberger, ein weiterer hilfreicher Informant, bestätigt diese Darstellung durch vergleichbare Schicksale von Jehovas Zeugen.
So ist davon auszugehen, dass nach dem Urteil des Kriegsgerichts die Einweisung in eines der KZ-Emslandlager (Esterwege, Aschendorfer Moor, Brual-Rhede, Börgermoor) erfolgte. In dem einzig verbliebenen Brief bestätigt Oskar Lehmann diesen Weg und schreibt:
Lieber Schwager ...,
deinen lang erwarteten Brief habe ich heute dankend erhalten. Ich kann dich in deinem Brief ganz gut verstehen, und ich glaube, mündlich hätten wir uns sehr viel zu erzählen. Das eine kannst du mir glauben ..., dass ich während meiner Zeit was gelernt habe.
Ich glaube, dass ich heute jeden Menschen so einschätzen kann, wie er ist, denn dreieinhalb Jahre mit 2500 Mann zusammen aller Stände und Berufe, ob Arbeiter oder Arzt oder vom Film irgendwer, vom Schützen bis zum Major, da war alles beisammen. Das eine kann ich sagen, dass gerade die studierten Intelligenten am meisten runter kamen. Da kamen Sachen vor, die du mir kaum glauben würdest. Aber ich will im Brief nicht näher darauf eingehen, würde zu weit führen, du wirst mich ja verstehen. ...
Im weiteren Verlauf berichtet er, dass er seinen Beruf ausüben konnte und für ihn das Leben dadurch etwas Erträglicher war.
Aus diesen Lagern wurden ab Ende 1942, Anfang 1943 regelmäßig ehemalige Soldaten in das Wehrmachtsgefängnis Torgau Fort Zinna überführt und dort auf ihre „Tauglichkeit“ überprüft. Eine „Überprüfung“, die viele nicht überlebten, dauerte ca. 4 Wochen. Wer als „tauglich“ befunden wurde, bekam seine „Wehrwürdigkeit“ wieder verliehen – man benötigte ja jeden Soldaten für den Endsieg – und wurde der Bewährungseinheit 500 zugewiesen.
Bereits ab April 1941 wurde die Bewährungseinheit 500 aufgestellt und im Osten eingesetzt. Die Einheit von Oskar Lehmann war im Frühjahr 1942 in Skierniewice stationiert und wurde dort für den Fronteinsatz ausgebildet.
Am 22. Febr. 1943 wird Oskar Lehmann an die Nordfront nach Tossno verlegt und schreibt in besagtem Brief aus seiner Stellung südlich des Ladogasees an der Newa:
„Möge Gott uns allen einen baldigen Frieden schenken. In dieser Hoffnung will ich schließen und grüße dich herzlich, dein Schwager Oskar.“
Im Felde, den 20. August 1943
Ich muss Ihnen die traurige Mitteilung machen, dass Ihr Bruder, der Schütze Oskar Lehmann, ... in meinem Feldlazarett ...an den Folgen der Verwundung gestorben ist.
Ihr Bruder wurde durch einen Granatsplitter schwer am Kopf verwundet.
... In den Tagen seines Hierseins war Ihr Bruder ohne Bewusstsein und ist am 19.08.1943 um 18.05 Uhr ruhig und sanft entschlafen, ... .
Beigesetzt wird er in Tossno auf dem Ehrenfriedhof bei der Schule an der Rollbahn Petersburg – Moskau 300 mtr. östl. der Brücke im Einzelgrab No. 1869. Ich werde bei der Beisetzung selbst zugegen sein.
...
In mitfühlender Anteilnahme Grüße ich Sie.
Dr. Staudt
Oberstabsarzt und Chefarzt.
Ein unerwartet persönlicher Brief, wenn man die Situation an diesem Frontabschnitt zum Maßstab nimmt. An Oskar Lehmanns Todestag, dem 19. Aug. 1943, fallen weitere 65 Kameraden seiner Einheit. Jeder 2. Soldat einer Bewährungskompanie hat im Krieg sein Leben verloren.
Etwa 80 000 deutsche Soldaten, darunter auch Oskar Lehmann fanden auf dem im Jahre 2000 der Öffentlichkeit übergebenen Soldatenfriedhof St. Petersburg-Sologubowka ihre letzte Ruhe. Er ist die weltweit größte deutsche Kriegsgräberstätte.
„Hoffentlich geht es mir auch weiter gut, und wenn Gott weiter seinen Schutz über mich walten lässt, werde ich vielleicht noch gesund zurückkehren. Wenn nicht, dann hat das Schicksal es anders
gewollt.“
Wir erinnern an Pfarrer Josef König
Am 13. Mai 1945, fünf Tage nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, starb Pfarrer Josef König, knapp 41 Jahre alt, an den Auswirkungen seiner Verfolgung durch das nationalsozialistische Regime. Als eines der letzten direkten Opfer des Nationalsozialismus aus der Erzdiözese Freiburg starb er nicht nur weil er Priester war, sondern aufgrund seines christlichen Engagements für seine Mitmenschen, seiner Standfestigkeit in Meinung und Glauben, seines zivilen Ungehorsams, der seinem christlichen Glauben entsprang und der offenen Ablehnung der nationalsozialistischen Verbrechen.
Im Hinblick auf eine lebendige Erinnerung an Geistliche im Widerstand gegen das nationalsozialistische Unrechtsregime habe ich mich in meiner universitären Examensarbeit mit dem Leben und Wirken Königs beschäftigt und eine Biographie angefertigt.
Diese Arbeit ist in Kooperation mit dem Erzbistum Köln und der Universität Bonn entstanden und das Institut für Politische Wissenschaft hat diese als Examensarbeit angenommen und bewertet. Für die Anfertigung habe ich neben der Auswertung von Archivmaterial Zeitzeugen befragt.
Geboren und getauft wurde Josef König am 28. Juni 1904 in Hausach. Sowohl sein Vater Josef, der von Beruf Schlossermeister war, als auch seine Mutter Monika, geborene Schmider, entstammten alteingesessenen Familien des Schwarzwaldes. Im elterlichen Haus herrschte ein tiefreligiöser, frommer Geist, der den Entschluss des jungen König, Priester zu werden, früh reifen ließ.
Ab 1910 besuchte König die Volksschule in Hausach. Da er ein begabter Schüler war und seine schnelle Auffassungsgabe auffiel, erhielt er vom damaligen Vikar der Gemeinde, Alfred Spitznagel, ab 1913 Lateinunterricht. König war durch den zusätzlich erteilten Lateinunterricht in der Lage, ab 1916 in die Untertertia des Friedrich-Gymnasiums in Freiburg einzutreten. Am 30. März 1922 bestand er im Alter von 17 Jahren die Abiturprüfung mit der Gesamtnote gut.
König gehörte zu den Schülern, „die durch ihre gute Entwicklung den Lehrern besondere Freude bereiteten.
Begabung und Fleiß der Schulzeit übertrugen sich auch auf Königs Studium der Theologie.
So verwundert es nicht, dass König eifrig und schnell studierte und bereits als 22-Jähriger am 19. März 1927 die Priesterweihe empfing. Unter größter Anteilnahme seiner Familie und Freunde feierte er diese in Hausach.
Nach einer halbjährigen Erkrankung, deren Verlauf ich an dieser Stelle aus Zeitgründen nicht näher ausführen möchte (diese ist jedoch ausführlich in meiner Examensarbeit dargestellt), setzte die Bistumsleitung der Erzdiözese Freiburg König zum 4. Oktober 1927 als Vikar in der Gemeinde Lauf ein. Hier war das Vikariat seit November 1926 nicht mehr besetzt worden, so dass der ansässige Pfarrer Josef Fischer die seelsorgerische Betreuung der weitläufigen Gemeinde seitdem alleine sicherstellen musste.
Unter der Obhut von Pfarrer Fischer zeigte König in seiner ersten Station als Vikar neben seiner pastoralen Arbeit großes gesellschaftliches Engagement in der Gemeinde Lauf. König beschäftigte sich intensiv mit der Jugend. Er initiierte die Gründung des bis heute existierenden Kolping-Vereins im Ort und unterrichtete die jungen Gemeindemitglieder in Gesang und Geigenspiel. Auch die Gründung des ersten Sportvereins war auf Königs Initiative zurückzuführen. Gemeinsam mit Fischer, „zu dem er ein gutes väterliches Verhältnis hatte“, erreichte er, dass auf kirchlichem Gelände der erste Sportplatz angelegt werden konnte.
König konzentrierte sich sehr auf seine Arbeit mit der Jugend und deren Ausbildung an den verschiedensten Musikinstrumenten. Er spielte selbst sieben verschiedene Instrumente und gab sein Wissen an die Dorfjugend weiter. Auch widmete er seinem Hobby der Fotografie viel Zeit. Er hatte sich einen für „die damalige Zeit hochmodernen Photographenapparat“ gekauft und konnte auch hierdurch die Dorfjugend begeistern.
Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten stand ein Wendepunkt im Wirken Königs in der Gemeinde Lauf, in der er noch bis Februar 1934 als Vikar tätig blieb, und im Besonderen auch für sein weiteres Leben an.
Bald nach der Machtergreifung Hitlers am 30. Januar 1933 wurde die Lage für König gefährlich. Insbesondere durch sein Engagement in der Jugendarbeit geriet er immer wieder in einen offenen Konflikt zu den lokalen Parteiführern und Mitgliedern der NSDAP.
Ein Großteil der Jugendlichen, die sich bislang in einem der von König gegründeten Jugendvereine engagiert hatten, war recht schnell zu den NS-Jugendorganisationen gewechselt. Pfarrer Fischer fasste in einem Schreiben an das Erzbischöfliche Ordinariat vom 15. Januar 1934 die Lage in der Gemeinde so zusammen:
„Nun warf sich der Herr Vikar mit ungestümer Lebhaftigkeit auf die Schuljugend, entwickelte in den einzelnen Gruppen der Jungschar einen derartigen Betrieb, daß der Ortsgruppenleiter […] und einige Lehrer mit Fanatismus gegen ihn und die Schulkinder der Jungschar vorgehen: ein gegenseitiger, kleinlicher, persönlicher Kampf wogt hin und her. Ich fürchte sehr, daß in ganz kurzer Zeit etwas gegen König unternommen wird, wenn er nicht versetzt wird. Jetzt könnte man ihn noch in Ehren abziehen lassen. Es würde mir leid tun, wenn er bei den heutigen Verhältnissen unter die Räder und etwa in Schutzhaft käme.“
Im Februar 1934 erfuhr Fischer, dass der Ortsgruppenleiter eine Klageschrift an die Bezirksregierung in Karlsruhe geschickt hatte, in der die Abberufung Königs als Vikar gefordert wurde, weil „er unter der Jugend eine Kampfstimmung schaffe.“ König hatte die katholische Jungschar ermutigt, „in den Wortgefechten [gegen das nationalsozialistische Jungvolk] tapfer mitzuhalten.“ Obwohl Fischer sich erneut für seinen Vikar einsetzte und diesen bei einer Lehrerkonferenz der örtlichen Schule im Februar 1934 verteidigte und die vorhandenen Schwierigkeiten ausgeräumt“ zu haben glaubte, war die Klage des Ortsgruppenleiters letztlich der Grund für die Versetzung Königs.
Das Erzbischöfliche Ordinariat kam mit diesem Schritt einer drohenden Bestrafung Königs, der mit seinem unermüdlichen Einsatz für den Erhalt der katholischen Jugendvereine in Lauf aus Sicht der Nationalsozialisten zu weit gegangen war, zuvor. König sollte auf Anweisung des Erzbischöflichen Ordinariats zum 16. Februar 1934 seine neue Stelle als Vikar in der etwa vierzig Kilometer entfernten Gemeinde Durmersheim antreten.
In Durmersheim änderte König nichts an seinem Verhalten gegenüber den örtlichen nationalsozialistischen Jugendverbänden. Auch hier ermunterte er die in der kirchlichen Jungschar organisierten Jugendlichen, sich nicht vom „Geschwätz der Nationalsozialisten“ beeinflussen zu lassen und verdeutlichte diesen, dass „mit den Nationalsozialisten nicht zu spaßen“ sei. Mit letzterem sprach König „Verbrechen gegen Landsleute an, von denen er im Schweizer Radio gehört hatte.“ So verwunderte es nicht, dass König auch den Nationalsozialisten in Durmersheim auffiel und ihm aufgrund seiner Äußerungen und seines Verhaltens auch hier recht schnell eine Bestrafung drohte. Wiederum kam das Erzbischöfliche Ordinariat dem zuvor und versetzte König bereits nach drei Monaten am 16. Mai 1934 in die etwa 170 Kilometer entfernt gelegene Gemeinde Schweinberg.
Zum 16. Mai 1934 trat König seine neue Stelle als Vikar der Gemeinde Schweinberg an und dort war der ansässige Pfarrer Georg Karl bereits seit längerer Zeit erkrankt, so dass dieser die seelsorgerliche Betreuung der kleinen Gemeinde nicht mehr leisten konnte. Pfarrer Karl hatte das Erzbischöfliche Ordinariat auf diesen Umstand bereits einige Male hingewiesen und war diesem aufgrund der Zuweisung Königs als jungen und engagierten Vikar dankbar. König schritt auch in Schweinberg ebenso tatkräftig voran und realisierte nach kurzer Zeit die Zusammenstellung einer örtlichen Musikkappelle, deren Unterricht er selbst übernahm. Aber auch in Schweinberg sollte König nicht lange bleiben dürfen. Schweinberg war für König die erste Station gewesen, in der er die seelsorgerische Betreuung der Gemeinde, aufgrund der Erkrankung von Karl, weitestgehend selbstständig erfüllt hatte.
In Herrischried, seiner nächsten Station, erwies sich König ebenso wie in Schweinberg als eifriger Seelsorger. Im Oktober 1935 bestand er die Pfarrkonkursprüfung, welche ihn zur Übernahme einer eigenen Pfarrstelle und zur Lehrtätigkeit für die Schule berechtigte. Durch die Erteilung des Religionsunterrichts an Schulen konnte er ein noch größeres Vertrauensverhältnis zu der Dorfjugend aufbauen, geriet jedoch zugleich immer mehr unter Beobachtung der örtlichen Nationalsozialisten.
Seine letzte Station als Vikar trat König zum 16. April 1936 in Langenenslingen an. Hierhin wurde er versetzt, nachdem er sich in Herrischried als selbständig arbeitender und wirkender Geistlicher bewiesen hatte und der in Langenenslingen tätige Pfarrer Franz Pohl an Arthritis erkrankt war. Pohl war es nicht mehr möglich, seinen priesterlichen Tätigkeiten nachzukommen, so dass König auch in Langenenslingen die Seelsorge alleine und selbständig ausübte.
Zum 1. Oktober 1937 wurde König zunächst als Pfarrverweser nach Nöggenschwiel im Südschwarzwald versetzt. In Nöggenschwiel war der bisherige Pfarrer Ernst Wetterer nicht mehr tragbar gewesen, da er, ähnlich wie König, in seinen bisherigen Stationen, unter zu große Beobachtung durch die Nationalsozialisten geraten war. Wetterer war insbesondere durch seine Predigten und Gebete für Juden auffällig geworden.
König verdiente sich auch in Nöggenschwiel durch „große Hingabe und Gewissenhaftigkeit“ schnell Respekt, Anerkennung und Beliebtheit bei den Gemeindemitgliedern. Zum 1. Oktober 1939 wurde er zum Pfarrer der Gemeinde Nöggenschwiel benannt und übernahm somit seine erste selbständig von ihm geleitete Pfarrei. In den schweren Kriegstagen, in denen fast alle männlichen Dorfbewohner zum Kampf eingezogen waren, sah König seine Aufgabe nicht nur darin, Seelsorger zu sein, sondern half seinen Gemeindemitgliedern auch bei den landwirtschaftlichen Arbeiten.
Auch in Nöggenschwiel waren es insbesondere die Kinder und Jugendlichen, um die König sich intensiv bemühte.
König unternahm mit Kindern und Jugendlichen Wanderungen in die Nachbargemeinden, organisierte Wallfahrten und erteilte Musikunterricht.
Auch die von mir befragten Zeitzeugen, die zu Königs Zeiten größtenteils noch Kinder gewesen sind, bestätigen dies und berichten begeistert von König als Musiklehrer.
Neben der Musik begeisterte König die Jugend als moderner, über den Katechismus der katholischen Kirche hinausgehender Pfarrer, der ein Motorrad und einen Fotoapparat besaß. König nahm seinen Fotoapparat zu jedem Anlass mit und fertigte neben Landschaftsfotos Fotografien der Schulkinder und Jugendlichen an, die bis heute existieren. Er entwickelte die Fotos selbst und veranstaltete Diaabende, welche nicht selten von der gesamten Gemeinde besucht wurden. Mit diesem starken Engagement fiel König auf und erweckte insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Erziehung der Jugend durch NS-Organisationen eines der wichtigsten Elemente der nationalsozialistischen Ideologie war, Aufmerksamkeit. Hinzu kam, dass König sich beim zuständigen Reichsministerium für kirchliche Angelegenheiten erkundigte, in welchen Fällen eine „Dienstbefreiung für Jugendliche bei der Hitlerjugend“ erwirkt werden konnte, um diesen weiterhin eine aktive Teilnahme an den kirchlichen Aktivitäten zu ermöglichen.
Im Januar 1939 begann König mit den Planungen, eine Schwesternstation zur Krankenpflege in Nöggenschwiel zu gründen. Bislang war es besonders für Alte und Schwerkranke schwierig, den nächsten Arzt im sieben Kilometer entfernten Bannholz zu erreichen. König organisierte eine Gründungsversammlung für einen katholischen Krankenpflegeverein, mit dem die Schwesternstation finanziert werden sollte. Bei der Gründungsversammlung am 5. Februar 1939 wurde der Einwand erhoben, dass „die Gefahr bestehe, daß die Mitgliedsbeiträge für die NS-Organisationen […] nicht mehr so gut eingehen würden, wenn die Leute jetzt auch noch für den Krankenpflegeverein einen monatlichen Beitrag leisten.“ König ließ sich nicht entmutigen und erkundigte sich schriftlich bei der Gestapo-Leitstelle in Karlsruhe. Er plante sogar, sich an das zuständige Reichsministerium in Berlin zu wenden. Erst als ihm bewusst wurde, dass für die Gründung einer Schwesternstation nicht zwingend die Gründung eines Krankenpflegevereins notwendig war, ließ er von seinem Plan ab, sich beim zuständigen Reichsminister zu beschweren. Er kam zu der Überzeugung, dass „die in den Krankenpflegeverein Eingetretenen auch über das Opferkörbchen in der Kirche Ihren Zuschuß leisten“ würden.
In der Folge organisierte König die Wohnung zur Errichtung der Schwesternstation, kaufte Möbel und ließ die Räumlichkeiten renovieren. Am 20. Mai 1939 war die Geburtsstunde der Schwesternstation, als zunächst zwei, später drei Krankenschwestern aus Gegenbach ihre Arbeit in Nöggenschwiel aufnahmen. König war es gelungen, sich gegen den Widerstand des NS-Regimes, welches „die Einrichtung einer Schwesternstation als nicht wünschenswert“ bezeichnet hatte, mit seinen Planungen durchzusetzen.
Auch die Gründung eines Kindergartens, der zur damaligen Kriegszeit „eine große Entlastung der Mütter […], vor allem, soweit die Männer und erwachsenen Söhne zum Heeresdienst eingezogen sind“, bedeutete, hat König gegen den Widerstand des Regimes realisiert. Der zuständige Landesminister für Wohlfahrt und Jugend hatte auf Königs Antrag, einen katholischen Kindergarten zu gründen, mitgeteilt, dass „die Errichtung von Kindertagesstätten ausschließlich der NS-Volkswohlfahrt vorbehalten ist. Dem Ersuchen kann daher nicht entsprochen werden.“ Trotz dieses Bescheides realisierte König seinen Plan gegen den Einspruch des Regimes, so dass im Sommer 1941, nachdem zuvor Schwesternstation und auch eine Nähschule realisiert worden waren, nun auch ein Kindergarten in Nöggenschwiel existierte.
Ideenreichtum und Durchsetzungskraft Königs fielen nicht nur den Gemeindemitgliedern auf, sondern auch bei den Nationalsozialisten erweckte König hierdurch immer mehr Aufmerksamkeit. Er geriet zusehends stärker unter Beobachtung. Zum Wohle seiner Gemeindemitglieder hat er diesen Umstand jedoch billigend in Kauf genommen. Ein Zeitzeuge bewertet die sich hieraus ergebenden Konsequenzen für König zutreffend:
„Er hat mit seinem sozialen Engagement angeeckt. Die Errichtung der Schwesternstation, des Kindergartens und der Nähschule waren den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge. Uns allen haben sie geholfen. Auch bei meinen Verletzungen konnte ich froh sein, dass Krankenschwestern im Ort waren.“
In Nöggenschwiel und Bierbronnen wurden zur damaligen Zeit französische Soldaten gefangen gehalten. König fühlte sich für diese als Gemeindepfarrer ebenso zuständig, wie für alle weiteren Mitglieder seiner Gemeinde. Die Gefangenen waren nur nachts interniert und arbeiteten tagsüber in den landwirtschaftlichen Betrieben der örtlichen Bauern. Daher konnten sie sich relativ frei bewegen, so dass König zu ihnen recht schnell Kontakt aufbauen und halten konnte. Eine vom 20. März 1940 erlassene Verfügung des Oberkommandos der Wehrmacht erlaubte Seelsorgern, unter Auflagen zunächst auch Gottesdienste für Kriegsgefangene abzuhalten. König lud die französischen Kriegsgefangenen daraufhin schriftlich in französischer Sprache zu zwei Gottesdiensten vor dem Weihnachtsfest 1940 und nach dem Osterfest 1941 ein. Zur Ostermesse im April 1941 organisiert er ein gemeinsames Frühstück für die Kriegsgefangenen im Pfarrhaus. Mit einer Verfügung vom 12. Mai 1941 wurde den Geistlichen die Ausrichtung von Gottesdiensten jedoch untersagt.
König widersetzte sich dieser Verfügung und sah sich als Pfarrer der Gemeinde Nöggenschwiel auch weiterhin dazu berufen, den Kriegsgefangenen mit der Abhaltung von Gottesdiensten ihr Recht auf seelsorgerliche Betreuung zukommen zu lassen.
Das Risiko einer Bestrafung durch die Nationalsozialisten, welches König zugunsten der Lebensqualität der Kriegsgefangenen bewusst auf sich genommen hatte, wird deutlich, wenn berücksichtigt wird, dass es selbst den Familien, bei denen die Kriegsgefangenen arbeiteten, untersagt war, am selben Tisch mit jenen zu essen. „Mit welchem Argwohn wird dann die Feier der Gottesdienste in den Augen der Nazis betrachtet worden sein.“
Auch Königs Predigten waren häufig politischen Inhalts und befassten sich mit dem Verlauf des Krieges und dem Nationalsozialismus. Hierüber gibt ein „Verzeichnis der in der Pfarrei Nöggenschwiel behandelten Predigtthemata“ Aufschluss. Das Verzeichnis wurde von König selbst angelegt und hat seinen ersten Eintrag am Ostersonntag, den 17. April 1938. Am 3. September 1939 schrieb König in das Verzeichnis „Kriegsbeginn – Gottvertrauen – Mut aus Gottes Wort.“ Wenig später findet sich am 17. September 1939 der Eintrag „Zum Kriegsbeginn – die Flüchtlinge“, und am 24. September 1939 predigte König über „die erste Prüfung – Krieg tötet Kinder.“ Den letzten Eintrag tätigte König bereits am 1. November 1939. In dem Wissen, unter Beobachtung zu stehen, muss er von allen weiteren schriftlichen Eintragungen Abstand genommen haben. Trotz des Fehlens weiterer Quellen steht fest, dass König weiterhin offensiv und mutig gepredigt hat. Dies belegen auch die Aussagen der Zeitzeugen:
„Diese Predigten waren immer politisch. Die Politik hat ihn wahnsinnig belastet. Er hat viele Dinge des Regimes angesprochen und kritisiert. Er hat immer angeprangert, dass in der Politik oft mehr Lug und Trug als Wahrheit erzählt worden ist.“
Ein gewisser Herr Dr. Wilhelm Karsch kam häufig zu den Gottesdiensten, um die Predigten Königs zu hören. Sofern sie politischen Inhalts waren, meldete er dieses schriftlich oder mündlich bei der Gestapo. König stand daher schon längere Zeit unter Beobachtung. Er hatte die Verbrechen, die das NS-Regime im Namen des deutschen Volkes begangen hatte, erkannt und unternahm jeden Versuch, seine Gemeindemitglieder vor weiterem unnötigem Blutvergießen zu bewahren.
Am 2. November 1944 äußerte sich König einer Offiziersfrau gegenüber zum Kriegsverlauf und zu Verbrechen des NS-Regimes. Während des Gesprächs äußerte König offen seine ablehnende Haltung gegenüber dem NS-Regime:
„Er hat damals zu ihr gesagt, dass die Nationalsozialisten nicht viele gute Dinge tun würden, sondern sehr viele grausame Dinge machen würden. Besonders die Judenverfolgung und Judenermordung sei eine Sache, die einem Völkermord gleichkomme. So waren seine Worte damals.“
Auch hat König der Offiziersfrau, Frau Herdey, berichtet, dass „von den Russen in Ostpreußen verübte Verbrechen in Wahrheit von den Deutschen verübt worden seien.“ Dies hatte er ebenfalls im Auslandsradio und in persönlichen Gesprächen mit Soldaten erfahren. Frau Herdey war erschrocken über die Äußerungen Königs und erstattete Herrn Dr. Wilhelm Karsch, der König schon länger beobachtet und seine Predigten mitgeschrieben hatte, Bericht hiervon. Karsch machte umgehend eine Meldung bei der Gestapo in Waldshut und erstattete Anzeige gegen König. Er wurde vorgeladen, verhört und am 23. November 1944 verhaftet.
Der ehemalige Waldshuter Kriminalkommissar, der 1944 die Anzeige gegen König aufgenommen hatte, erklärte später, dass es „sich um zehn oder elf Äusserungen [Königs], die nach dem damaligen Heimtückegesetz als sehr schwerwiegend zu bezeichnen waren“, handelte. König wurde von der Gestapo mehrmals verhört und befragt. Er blieb trotz des Bewusstseins, welche Konsequenzen sich für ihn ergeben könnten, bei seinen getätigten Aussagen.
Im Nationalsozialismus waren die „von der Polizei verwalteten Gefängnisse […] Stätten der Ungerechtigkeit und des Verbrechens.“ Auch König musste diese Erfahrung durchleben. Er wurde zwar verhört, jedoch fand aufgrund des fortgeschrittenen Krieges nie ein Gerichtsprozess statt. Der Prozess gegen König wegen Wehrkraftzersetzung war zwar vor dem Sondergericht Freiburg geplant. Der damalige Staatsanwalt Prüfer, der später „als Mitläufer der Nazi-Zeit eingestuft wurde“, wirkte sogar auf seine Freilassung hin. Allerdings forderte der Reichsverteidigungskommissar „eine standgerichtliche Behandlung gerade dieses Falles.“ Ein Prozess gegen König wurde letzten Endes jedoch nicht geführt, so dass er auch nicht rechtskräftig angeklagt und verurteilt worden ist. Trotzdem blieb König in Haft, und die fehlende Norm eines Gerichtsprozesses wurde durch die Maßnahme der Inhaftierung ersetzt.
König musste sich eine Gefängniszelle mit zwei Mitbrüdern, Pfarrer Erwin Dietrich, der einem „holländischen Offizier zur Flucht in die Schweiz verhalf“, und Pfarrer Max Graf, der wegen seiner Predigten verhaftet worden war, teilen. Dietrich, der einzige Überlebende der drei Inhaftierten, schilderte nach dem Krieg das gemeinsame Leben der drei Pfarrer in der Zelle:
„Wir bekamen eine Zelle, die dreieinhalb Meter Umfang hatte. Als dann Pfarrer Graf nach Dachau kam, bekamen König und ich eine Zelle, die um einen Meter schmäler war. Diese Zelle hatte nur ein Bett […]. Der andere legte seine Matratze auf den Boden. […] Das war das Zimmer, das als Wohn-, Ess- und Schlafzimmer und zugleich als Kapelle und Klosett diente.“
Ebenso war es Dietrich, der nach dem Krieg von Herrn Königs gesundheitlich angeschlagenem Zustand berichtete. Dieser hatte sich im kalten Winter durch einen Bombenangriff im Februar 1945, durch den das Gefängnisfenster der Zelle zerstört worden war, noch verschlimmert:
„Pfarrer König war mir schon seit etwa zehn Jahren bekannt. […] Ich lernte ihn aber erst im Gefängnis näher kennen. Bei Beginn der Haft fiel mir auf, dass Pfarrer König, der schon einige Wochen vor mir in das Gefängnis kam, gegenüber seinem früheren Aussehen blass war. Er hatte gesundheitlich gegenüber seinem früheren Aussehen stark abgenommen.“
In diesem körperlich geschwächten Zustand wurde König gemeinsam mit Dietrich am Morgen des 23. April 1945 aus der Gefängnishaft entlassen. Die französischen Truppen waren kurz davor, in Waldshut einzumarschieren, so dass die örtlichen Nationalsozialisten alle politischen Gefangenen entließen.
Nach genau fünfmonatiger Haft kam er frei und kehrte zurück nach Nöggenschwiel. Hier sah er seine erste Aufgabe darin, eine weiße Friedensfahne am Kirchturm zu befestigten. Auch nahm er direkt Kontakt zu einigen Kindern und Jugendlichen im Dorf auf, um mit diesen die Musikproben wieder aufzunehmen. Hierzu sollte es jedoch nicht mehr kommen. König war nicht nur körperlich geschwächt, sondern aufgrund des Gefängnisaufenthaltes und der hier erlittenen Qualen auch psychisch angeschlagen. Ein Zeitzeuge berichtet, dass seine Mutter erzählt habe, „dass etwas nicht stimmen würde mit ihm. Er würde sich so merkwürdig verhalten und würde sich schämen dafür, dass er im Gefängnis war.“
König brach schließlich am 4. Mai 1945 zusammen und wurde mit einem „akuten Schub einer Schizophrenie im Krankenhaus Waldshut aufgenommen.“ Auf dem Weg ins Krankenhaus hat König „einen französischen Soldaten an den Kragen gepackt und hat zu ihm gesagt, lass mich in Ruhe, du bist doch ein Nazi.“ Hieran lässt sich seine geistige Verwirrung aufgrund erlittener Folter durch die Nationalsozialisten ablesen. König verstarb am 13. Mai 1945 im Waldshuter Krankenhaus. Der behandelnde Arzt beschrieb Königs schlechten Zustand:
„Der Patient war […] weder örtlich noch zeitlich, noch räumlich orientiert. […] Am 13.5.45 verstarb er unter den Anzeichen einer Kreislaufschwäche, nachdem zuvor höheres Fieber aufgetreten war.“
Die Frage, ob Königs Tod ursächlich durch die Haftfolgen oder aber aufgrund des erneuten Ausbruchs einer früheren Krankheit eingetreten ist, wurde in einem psychiatrischen Gutachten des Direktors der Psychiatrischen Nervenklinik der Universität Freiburg, Herrn Professor Doktor Behringer, erörtert. In seinem abschließenden Bericht kommt Behringer diesbezüglich zu dem Schluss:
„Ein ursächlicher Zusammenhang der Psychose mit der körperseelischen Belastung durch die vorausgegangene Verhaftung und die fünfmonatige Haft ist nach den heutigen wissenschaftlichen Auffassungen zu einer begründeten Wahrscheinlichkeit zu erheben.“
Auch Königs Mitgefangener Dietrich führt dessen Tod auf die seelischen Qualen zurück, die er in der Haft erlitten hat. Für ihn „besteht kein Zweifel, dass sein Tod als Folge der Gefängnishaft eingetreten ist.“ Die von der Gestapo „ausgegangenen psychischen und seelischen Leiden waren eine zu große Belastung für sein Gemüt.“ König war ein Opfer der Zeitverhältnisse geworden. Er litt und starb, weil er „die Wahrheit über Nazi-Verbrechen gesagt hatte. Weil er so gegen die schamlose Verletzung des natürlichen und christlichen Sittengesetzes durch die Nationalsozialisten protestiert hatte, ja zuletzt, weil er seinen Dienst als katholischer Priester treu, unbeeinflusst vom braunen Zeitgeist, erfüllt hatte.“
HIER WOHNTE
PFARRER
JOSEF KÖNIG
JG. 1904
VERHAFTET 1944
GEFÄNGNIS WALDSHUT
TOT AN HAFTFOLGEN
13.5.1945
.
Wir erinnern an Herrn Eugen Decker
Eugen Decker wurde am 19. Februar 1897 in Hausach geboren. Seine Eltern waren der Metzgermeister Karl Decker und seine Frau Katharina. Eugen Decker war geistig behindert, war aber in der Lage, den Eltern in deren Metzgerei in der Schlossstraße tatkräftig mitzuhelfen. Nach dem Tod der Eltern übernahm der Schreinermeister Alois Schmider die Vormundschaft.
Über das Leben von Herrn Eugen Deckers in Hausach konnten kaum Belege ermittelt werden. Ein Zeitzeuge erinnerte sich, dass Eugen Decker alljährlich die Fastnacht ausgiebig und mit großer Freude gefeiert habe.
Am 3. Juni 1937 wurde er als geistig Behinderter in die Pflegeanstalt Fußbach eingeliefert. Die Stadt Hausach kam für die Pflegkosten auf: 1,60 Reichsmark pro Tag. Drei Jahre später am 15. August 1940 wurde er von Fußbach zusammen mit 30 weiteren Männern im Rahmen der T4-Aktion in einem der berüchtigten Busse nach Grafeneck transportiert. Die Busse trugen eine graue Tarnfarbe und die Fenster waren durch einen Farbanstrich undurchsichtig gemacht. Insgesamt wurden 137 Bewohner der Kreispflegeanstalt Fußbach, die aufgrund des Euthanasie-Geheimerlasses von Adolf Hitler (1939) abtransportiert, ermordet.
Das Kürzel "T4-Aktion" steht für sämtliche Aktivitäten zur "Vernichtung unwerten Lebens" im gesamten nationalsozialistischen Machtbereich. T4 stand für die Tiergartenstraße Nummer 4 in Berlin, wo sich die zentrale Planungsstelle der Aktion befand. Grafeneck war die erste von sechs Tötungsanstalten, die für die T4-Aktion eingerichtet wurden. Das Leitungsteam in Berlin hatte sich für die Tötung durch Kohlenmonoxid entschieden. Zwischen Januar und Dezember 1940 wurden im Rahmen der T4-Aktion 70.000 Menschen ermordet. Allein im Grafeneck wurden in diesem Zeitraum 10.600 Menschen durch Gas getötet und danach verbrannt.
Herr Eugen Decker wurde am 29. 8. 1940 in Grafeneck ermordet. Die Todesursache an die Stiefmutter lautete "Beckeninfektion und Blutvergiftung". Seine Urne wurde im September 1940 nach Hausach überführt und auf dem hiesigen Friedhof beigesetzt.
Wir wissen nicht, wie er ausgesehen hat, es existiert kein Foto, keine schriftlichen Hinweise. Mit dem Stolperstein möchten wir Herrn Eugen Decker der Vergessenheit entreißen und sein Schicksal dokumentieren.
Erinnerung an die Verlegung des Stopersteins in der Schlossstraße
JG. 1897
PFLEGEANSTALT FUSSBACH
ERMORDET 29.8.1940
HEILANSTALT GRAFENECK
Wir erinnern an Herrn Franz Sengle
Mit der Verlegung dieses Gedenksteines vor wenigen Minuten (Jahr 2015) haben wir eines Menschen gedacht, der seinen öffentlichen Widerstand mit dem Leben bezahlte. Vor 74 Jahren wurde Herr Franz Sengle im KZ Dachau ermordet. Leidtragende dieser dramatischen Situation war auch die Familie – die Ehefrau, die Kinder, die Schwiegereltern.
Wer ihn denunziert hat, für seine Verhaftung verantwortlich war, lässt sich konkret nicht nachweisen, ist auch nicht von Bedeutung. Festzuhalten ist, dass noch heute Mut dazugehört, das erste zivile Opfer des NS-Regimes in unserer Gemeinde, Franz Sengle, zu würdigen, denn das Verständnis hierfür ist nicht uneingeschränkt. Bereits 2009 beabsichtige die Gruppe „Wider das Vergessen“ auch für Herrn Sengle einen Stolperstein zu verlegen. Die damalige Absage der Familie, beeinflusst von außen, die Sache doch endlich ad acta zu legen, wurde bedauert, aber selbst verständlich akzeptiert. Heute hat die Gruppe hierfür größtes Verständnis.
Zu tief hat dieses Ereignis das Leben der Familie geprägt. Zu tief sind die Wunden, die sie durch die Ächtung der Mitbürger davontrugen. Deshalb sind wir heute hier und gedenken Franz Sengle, aber auch der Lebenden und Verstorbenen der Familie, die unter dieser Situation sehr zu leiden hatten.
Vor über zehn Jahren recherchierte Norbert Baumann, fasste die Ergebnisse zusammen und ließ sich die Richtigkeit der Quellen von dem damaligen Vorsitzenden des Historischen Vereins Hausach, Herrn Bernd Schmid, bestätigen. Herr Franz Sengle wurde am 07.07.1898 in Tennenbronn geboren. Zweimal stoßen wir bei den Recherchen auf die Berufsbezeichnung „Maschinenbauer“. Auch verlief die Jugendzeit des intelligenten jungen Mannes mit seinen Eltern nicht konfliktfrei. Mit dem vollendeten 17. Lebensjahr war man im 1. Weltkrieg wehrpflichtig. So war er als 17jähriger Kriegsteilnehmer und wurde verwundet.
Sein beruflicher Werdegang lässt sich nicht dokumentieren. Gesichert ist, dass seine
berufliche Erfahrung und elektrotechnischen Kenntnisse den Landwirten der Region zu Gute kamen. Innovativ für die entlegenen Höfe war die Stromgewinnung durch Wasserkraft, so u. a. im Laßgrund, im Hohlengrund und weiteren Höfen. Hiermit, aber auch durch die Reparatur von landwirtschaftlichen Maschinen und mechanischen Anlagen bis hin zu der Instandsetzung von Nähmaschinen verdiente er seinen Lebensunterhalt.
Meist war er mit dem Fahrrad unterwegs, so im Harmersbach, im Wolftal mit seinen Nebentälern und in der Gemeinde Einbach. Hier im Laßgrund lernte er seine zukünftige Frau Anna kennen, die mit ihren Eltern Richard und Pauline Echle das Anwesen bewohnte und bewirtschaftete. Das Ehepaar Echle hatte das primitive Baumfällerhaus, „s´Kerne am Wald“ von der Gemeinde Einbach gepachtet.
Die Eltern waren gegen die Verbindung und die Heirat der Tochter mit dem 17 Jahre älteren Franz Sengle. Trotz aller Widerstände fand die Hochzeit im Mai 1935 in der Zeller Wallfahrtskirche statt. Zwei Padres waren die Trauzeugen. Die Kinder Karl, Erika und Maria liebten ihren naturverbundenen Vater. Er züchtete Rosen; war Imker. Eine Tochter erinnert sich daran, wie sie mit ihrem Vater dem Ruf eines Kuckucks folgten und er ihr ganz in der Nähe des scheuen Vogels dessen Lebensweise erklärte. Unvergessen auch die seltenen Augenblicke, in denen der Vater den Kindern ein Stück Schokolade zukommen lassen konnte.
Tochter Hildegard kam nach der Verhaftung ihres Vaters im Jahr 1940 auf die Welt.
Bei allem Vorbehalt über Zeugenaussagen nach einer solch langen Zeit, erhalten wir
dennoch einen gewissen Einblick, ergibt sich aus anscheinend unbedeutenden Begebenheiten ein Bild von Franz Sengle.
Zwei Zeitzeugen berichteten davon, dass Herr Sengle einige Male kurzzeitig im Gefängnis gewesen sei. Er hatte ja keinen festen Arbeitsplatz.
Weitere Zeugen erinnerten sich:
„Dadurch, dass er noch von auswärts kam, hatte er es doppelt schwer. Wenn man sich einmal was zu Schulden kommen lässt, ist man immer verdächtig.“
„Sengle hatte keine feste Arbeitsstelle und arbeitete mal hier und mal da. Er war kein unehrlicher Mann.“
-Zwei ältere Frauen von Oberwolfach-Gelbach berichteten:
„Er kam und reparierte die Dreschmaschine oder andere Maschinen. Wir hatten immer Angst als Kinder vor ihm.“ - „Wieso?“ - „Ja der hat doch geklaut!“ – „Was hat er denn gestohlen?“ - „Äpfel! Wenn wir auf der Höhe Äpfel vom Boden aufheben mussten, dann waren sie schon weg.“ - „Mehr nicht?“ -
Die zweite Frau ergänzte: „Nein, aber immer war er es auch nicht“,.
-Ihr Bruder meinte:
„Mein Vater hatte eine gute Meinung vom Franz Sengle und er wusste gar nicht, was die Leute hätten. „Ich kann mich an nichts Negatives erinnern.“
Herr Baumann, Herr Welschbach und Herr Schoch waren vor wenigen Wochen nochmals auf einem der Wege, die Franz Sengle immer wieder genommen hatte, hinunter in den Gelbach. Hier trafen sie den oben erwähnten Zeitzeugen nochmals. Er berichtete, dass er sich gut an folgenden Vorfall erinnern könne:
„Franz Sengle kam mit dem Rad vom Obertal, hielt an und fragte meinen Vater, ob er Oel haben könnte, seine Bremsen seien heiß gelaufen.“
Herr Sengle wollte und konnte sich nicht verbiegen. Klar und unmissverständlich äußerte er ungeachtet der NS-Sympathisanten im Tal seine Meinung gegenüber den Nationalsozialisten:
„Ich werde niemals zulassen, dass sich meine Kinder im BDM oder der HJ engagieren!“
Die interviewten Einbacher bestätigten ausnahmslos, dass der Grund der Verhaftung
seine politische Gesinnung gewesen wäre, die er öffentlich kundgetan hatte, möglicherweise auch in der Gaststätte im Dörfle.
„Ich denke, dass er wegen den politischen Aussagen gegen das Regime inhaftiert worden ist. Man kam nicht so schnell in den Krieg, wenn man genügend meldete oder sonst regimetreu war.“, so ein Zeuge.
Die nachfolgende eidesstattlichen Erklärung des ehemaligen Bürgermeisters von Einbach, Herr Augustin Klausmann, steht im Zusammenhang mit dem Entnazifizierungsverfahren gegen den damaligen Ratsschreiber Vetterer und ist in einem Schülerprojekt der Graf-Heinrich-Schule Hausach dokumentiert:
Eidesstattliche Erklärung
„Herr Augustin Klausmann von Einbach (ehemaliger Bürgermeister) bestätigt hiermit durch eigenhändige Unterschrift, dass der Ratsschreiber Heinrich Vetterer im Falle Franz Sengle von Einbach, welcher s. Zeit in das Konzentrationslager Dachau gebracht wurde und dort verstarb, derselbe nicht gehört, noch von irgend einer Behörde darüber einvernommen wurde. Über die Angelegenheit der Verbringung des Genannten in das KZ ist anderweitig entschieden worden. Hiermit ist die Erklärung gegeben, dass Vetterer in genanntem Falle nicht beteiligt war, also neutral ist, und somit in dieser Sache nichts zu tun hatte. „
Einbach, den 26. Janunar 1946
Augustin Klausmann
Ein weiterer Zeuge bestätigt mehrfach, dass ein ihm persönlich bekanntes maßgebliches NSDAP-Mitglied aus Einbach für die Verhaftung mitverantwortlich war. Diese Person wies bei der Befragung diese Anschuldigung zurück, er kenne den „Sengle“ gar nicht.
Wie war es möglich, unliebsame Personen schnell und nachhaltig aus ihrem Lebensumfeld zu verbannen?
Einen Tag nach dem Reichstagsbrand vom 27. Februar 1933 unterzeichnete der damalige Reichspräsident Hindenburg die „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“. Die Polizei wurde hiermit ermächtigt, politische Gegner ohne Gerichtsbeschluss unbefristet in „Schutzhaft“ zu nehmen. Es war somit ein Leichtes „staatsfeindliche Elemente“ auszuschalten. Knapp einen Monat später, am 22. März 1933, wurden in das KZ Dachau, dem ersten Konzentrationslager und somit Vorbild für alle
nachfolgenden, die ersten „Schutzhäftlinge eingeliefert. Ein halbes Jahr nach Inkrafttreten der Verordnung waren im Reich bereits ca. 30 000 Personen inhaftiert. Man wusste von der Existenz der Lager, aber die Einschüchterung funktionierte, die Angst war groß, die Freigelassenen zum Schweigen verpflichtet.
Herr Franz Sengle wurde 1940 vor der Geburt des vierten Kindes Hildegard im Rahmen dieser politischen Säuberung zur „Polizeilichen Sicherungsverwahrung“ (PSV) zuerst ins Gefängnis nach Wolfach verbracht.
Wie die Verhaftung ablief, wissen wir nicht. Wenn wir nach der Gedenkfeier den Laßgrund verlassen, haben wir die Gewissheit, dass jeder die Freiheit hat, diesen Ort
wieder aufzusuchen, sich niederzulassen, Feste zu feiern. Es ist ein Ort der Begegnung geworden.
Für Franz Sengle jedoch führte kein Weg zurück. Richard Echle fuhr nach Wolfach, um mit seinem Schwiegersohn zu sprechen.
„Hier gibt es keinen Franz Sengle!“ – „Ich habe ihn gesehen, mit der Sträflingskleidung.“
Ein letzter Kontakt kam zustande.
Ab dem 24. August 1940 wird er unter der Häftlingsnummer 15468 im KZ Dachau geführt. Eine Verurteilung liegt nicht vor. Knapp zwei Wochen später, am 03.09.1940, erfolgte die Überführung in das KZ Sachsenhausen - Häftlingsnummer 23467.
Durch die Nähe zu Berlin und damit auch zur Gestapozentrale in der Prinz-Albrecht- Straße hatte dieses Lager eine Sonderrolle im KZ-System. Ein großes SS-Kontingent
war hier stationiert. Das Lager diente als Ausbildungsort für KZ-Kommandanten und das Bewachungspersonal im ganzen NS-Machtbereich ähnlich wie das KZ Dachau. Aus den Archivunterlagen des KZ Dachau geht hervor, dass Herr Sengle am 22.01.1941 aus dem KZ Neuengamme zurück nach Dachau verlegt wurde. Das heißt, dass er im Herbst 1940 auch Häftling des KZ Neuengamme war, dem größten
Konzentrationslager in Norddeutschland und bis 1940 Außenlager des KZ Sachsen-
hausen. Seine Einweisung fiel in die Zeit, in der die Häftlinge zum Ausbau des Lagers, zum Kanalbau und in den nahen Tongruben eingesetzt wurden. Hamburg sollte
als Tor zur Welt eine repräsentative bauliche Neugestaltung des rechten Elbufers erhalten. Nach knapp sieben Monate im KZ Dachau wurde Herr Sengle von seinem Martyrium erlöst, eines von über 41.000 Schicksalen allein in diesem Konzentrationslager.
„Der Grund für die Verfolgung und die Inhaftierung geht aus unseren Unterlagen nicht hervor.“,
so teilte das Archiv Dachau im Rahmen der Recherchen mit. Der Briefträger Josef Eisenmann überbrachte die Todesnachricht aus Dachau. Im Totenbuch der Pfarrgemeinde St. Mauritius in Hausach finden wir im „Jahrgang
1941“ folgenden Eintrag:
Name: Franz Sengle
wohnhaft: in Dachau und Einbach
Beruf: Maschinenbauer
Alter: 43 Jahre
Todesart: Darmkatarrh
Todestag: 13. August 1941
Beerdigung: 13. Oktober 1941
Ernst Würth, Vikar
Und die Zurückgebliebenen, die Familie?
Bei seiner Verhaftung waren Karl sechs, Erika vier und Maria zwei Jahre alt. Die jüngste Tochter Hildegard wurde während seiner Inhaftierung im KZ Sachsenhausen
geboren.
Das Leben im Laßgrund war geprägt von tiefster Armut. In der Küche war nur ein Drahtgeflecht, damit der Rauch abziehen konnte, das Wasser im Winter eingefroren, die Wände im Haus mit einer Eisschicht überzogen. Die von Franz Sengle installierte Stromversorgung funktionierte nicht mehr. Den Eigentümer, die Gemeinde Einbach, interessierte der Zustand des Gebäudes wenig – hatten doch die Regimetreuen das Sagen im Tal.
Unterstützung erhielt die Familie von Lehrer Bohe, als Staatsdiener dem System entweder freiwillig oder gezwungenermaßen nicht abgeneigt. Solange die Kriegsmaschinerie noch erfolgreich lief, sorgte er dafür, dass die Kinder ab und an Kleidung und Schuhe erhielten. Auch übersah er, wenn die Sengle- Kinder in der Schule den Hitlergruß nicht erwiderten. Er versorgte die Familie mit Petroleum und Kerzen, die daheim für ein wenig Licht in dieser in jeglicher Hinsicht trostlosen und dunklen Zeit sorgten.
Zur Familie von Ratsschreiber Vetterer bestand ein gutes Verhältnis. Die drei Mädchen erhielten eine Puppe – etwas ganz Besonderes. Wenn auch selten, dennoch unvergessen die Augenblicke, wenn der damalige Bürgermeister Klausmann der Familie Brot vorbeibrachte, wenn er im Hintertal Holz machte.
Die Mutter forderte die Kinder immer wieder auf, ehrlich zu sein, immer die Wahrheit
zu sagen, nicht negativ aufzufallen. Dennoch war die Ablehnung im Tal greifbar: Von einem Lehrer wurden Karl und Erika im Gegensatz zu den Mitschülern nicht beim Vornamen gerufen, sondern nur mit „Sengle“.
Auch war sich mancher Mitbürger, manche Mitbürgerin während der Kriegszeit, aber auch danach nicht zu schade, den vernichtenden Vorwurf zu äußern:
„Euer Vater ist/war doch Zuchthäusler!“
Innerhalb der Familie folgten Jahrzehnte des Schweigens, des Verdrängens, des
Haderns.
Warum hat unser Vater nicht den Mund gehalten, warum hat er uns dies angetan? Oder - dürfen wir stolz sein über seinen Mut, seine Überzeugung trotz größter Gefahr
offen auszusprechen?
Die Verlegung des Stolpersteines gibt heute eine befreiende Antwort:
74 Jahre nach der Ermordung verneigen wir uns vor einem außergewöhnlichen
Bürger unserer Gemeinde - Herrn Franz Sengle.
Wohnhaus der Familie Sengle im Laßgrund
Die Urenkelin bei der Gedenkfeier Manfred Schoch erinnert an Franz Sengle