Radfahrer-Verein „Wandervögel“ Hausach
Um 1922 war neben den beiden örtlichen Sportvereinen auch ein Radfahrer-Verein aktiv, „die roten Radler“ genannt, Mitglieder der Arbeiter-Partei oder einfach fahrradbegeisterte Sportler und Sportlerinnen. Zu den üblichen Ausflügen gehörten auch „Fernfahrten“ auf den Belchen, wie mein Vater erzählte. Die Radfahrer-Kolonne kam um 6 Uhr morgens außer Atem am Belchen-Hotel an und musste 2 Stunden vor der Türe warten, bis geöffnet wurde und sie ihren Durst löschen konnte.
Gangschaltungen waren zu jener Zeit noch nicht in Gebrauch und das Rad wurde größtenteils den Berg hochgeschoben, bei Dunkelheit wurden die Lenker-Karbidlampen angezündet.
Sternfahrten in die Ortenau zum Beispiel gehörten zu den jährlichen Höhepunkten, wenn die jungen Männer und Frauen mit farbig geschmückten Rädern (plus technischem Zubehör) nach Schutterwald oder sonst einer Velo-Hochburg radelten, wo bei Parade-Umzügen, dem sog. Preisfahren, für die beste Gruppe Prämien ausgesetzt wurden. Die Damen paradierten mit bodenlangen weißen Kleidern, die Herren in knielanger, weißer Sportkleidung und bunten Schärpen.
Fritz Schmidt erinnerte sich, dass sie bei einer dieser Paraden Aufsehen erregten, weil ein 4er-Quadrat von Radfahrern längs ein 2m-Brett mit zwei Querstangen auf den Schultern balancierte, worauf ein Fahrer/Fahrerin thronte und diese Pyramide ihnen einen Preis einbrachte.
Bei der 60 km-Heimfahrt allerdings ereignete sich ein weiterer „Höhepunkt“,
denn Fritz hatte den Transport des langen Brettes zu bewerkstelligen, welches er längs des Rahmens mit zwei Schnüren festgemacht hatte. Während der Fahrt löste sich plötzlich die vordere Verbindung, das Brettende knallte aufs Pflaster, das hintere Ende stellte dadurch das Rad hoch und der Fahrer machte einen Sturzflug über den Lenker.
Die Radler amüsierten sich noch lange über die Geschichten ihrer Hanauer Sportsfreunde, vor allem, dass es dort Gewohnheit sei, einem verblichenen Sportsfreund die letzte Ehre zu erweisen, die mit der Grabrede und dem Spruch des jeweiligen Vereinsvorstandes endete:
„Un jetze lenn ihn ab am Seil,
All Heil, All Heil, All Heil“, dem damaligen Radler-Gruß.
(Lothar Sonntag 2018)
Auf dem Foto zu erkennen:
links vorne liegend: Fritz Schmidt,
vorderste Reihe: 2. von rechts Hermann Letzeisen,
dritte Reihe: 2. von links August Keller ?
oberste Reihe: 2. von rechts Karl Sonntag
Zusatz:
Der „alte“ Kronenwirt Gustav Ecker betrieb neben seiner handhebelbetätigten Tankstelle auch eine Fahrradreparatur. Ein Typ von kompakter Statur, zuverlässig, verkaufte auch Fahrradteile wie Pumpen und Ventile, Ketten und Schläuche. Und Karbid für die Lampen.
An der rechten Ecke des Gasthauses Krone befand sich neben der Benzinpumpe ein kleiner Schuppen, vor dem er meist saß, entweder reparierend oder Stumpen rauchend, im „Fahrradflicken“ war er Meister, Plattfuß verursachende Holzschuhnägel gab es damals noch zuhauf in den Straßen und die „Platten“ landeten fast immer beim Ecker. Obwohl – fast jedes neue Rad hatte sein dreieckiges ledernes Reparaturtäschchen mit Schlüssel und Kleber untern Sattel.
Er arbeitete immer sehr sorgfältig und gründlich, reinigte zusätzlich die Ketten, die meist von Straßenstaub und Öl verklebt waren, kein Wunder, dass er dauernd schwarze Finger hatte, die nie ganz sauber wurden, wie seine Gäste abends bemerkten.
Nach erledigtem, frisch geöltem Auftrag schrieb er immer einen Rechnungszettel, etwa mit dem gleichbleibenden Text: „Fahrrad Herkules gflickt un pflegt. 80 Pfg.“, wie ein ehemaliger Kunde berichtete.
Ein oder zweimal am Tag kam ein Auto an die Tankstelle, dann pumpte er von Hand die 10 Liter-Glasbehälter voll und füllte den Tank. Ab Feierabend-Zeit war er dann wieder Wirt.