Stolperstein Oskar Lehmann

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Wir erinnern an Herrn Oskar Lehmann

lehmann1Oskar Lehmann wurde am 24. Mai 1914 als Sohn des Friseurmeisters Franz Lehmann und seiner Frau Frieda Lehmann, geb. Basler, in Hausach geboren. Er wuchs mit seinen beiden Schwestern hier auf. Von 1921 – 1929 besuchte er die Volksschule. Als gelernter Friseur arbeitete er im väterlichen Betrieb. Sein militärischer Werdegang aus den Unterlagen der Deutschen Dienststelle für die nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht lautet wie folgt:

1935               Musterung

11.12.1939    Einberufung zum 3. Landwehr Infanterie- Regiment.

Zugang vom Wehrmachtsgefängnis Torgau Fort Zinna

Mit einer solchen nahezu tabellarischen Auflistung werden wir jedoch dem Menschen Oskar Lehmann wahrlich nicht gerecht. Was für eine Person war Oskar Lehmann? Was mögen die Beweggründe für die Fahnenflucht gewesen sein? Welche Rolle spielte möglicherweise die politische, religiöse Gesinnung der Familie? Wer im Ort wusste von der Fahnenflucht? Was passierte nach der Verurteilung wegen „Wehrunwürdigkeit“? Wo befand sich Oskar Lehmann in der Zeit von der Verurteilung bis zur Verlegung ins Wehrmachtsgefängnis? Wo verbrachte er seine letzten Kriegstage?

Eine Vielzahl offener Fragen.

Das Bild, das sich durch die Befragung der wenigen noch verbliebenen Zeitzeugen ergab, war geprägt von Fakten, aber auch vielfach von Halbwahrheiten, Vermutungen, Annahmen, was nach einer solchen langen Zeit nicht überrascht.

erschossen.

Nein, so konnten und wollten wir dieses Schicksal nicht abschließen, zumal wir durch den Kontakt mit den Verwandten in unserem Bemühen um eine detaillierte Aufarbeitung bestärkt wurden. Aus einer Vielzahl von Gesprächen, Recherchen und Quellen entwickelte sich über Jahre hinweg diese gesicherte Biographie:

Mit 7 Jahren wurde Oskar Lehmann, Sohn von Franz und Friede Lehmann, eingeschult. Oskar war in seinen 8 Volksschuljahren, 1921 – 1929, überaus fleißig und zuverlässig. Er zeichnete sich vor allem in den Fächern Turnen, Zeichnen aber auch Naturlehre aus. So ist auch nicht verwunderlich, dass sich ein Zeitzeuge daran erinnert, dass

            „Oskar Lehmann ein begabter Elektroniker war und Radios verkaufte.“

            „Ein hübscher, junger Mann!“, so nicht nur eine Zeitzeugin.

Eine Liebschaft ist dokumentiert. Das in der vergangenen Woche veröffentlichte Portrait, befindet sich auch noch nach über 70 Jahren im Besitz der Verwandtschaft seiner Angebeteten, so eine Information aus den vergangenen Tagen.

            „Deutscher wisse, diese Frau hat dem Führer ihre Stimme nicht gegeben!“

So ein Schriftzug auf einem weißen Laken.

lehmann2Wo hing dieses Tuch genau? Wer sollte hier denunziert werden? Die Lehmanns hatten ihr Friseurgeschäft zu Beginn der NS-Herrschaft im Haus des 1929 von Emil Falk erworbenen Anwesens mit Werkstatt und Benzinzapfsäule, also die spätere Apotheke Iff am Gewerbekanal neben der Volksschule.

Der Besitz ging alsbald an seinen Sohn Eugen Falk – später Eugen Falk-Breitenbach - über, der ab 1933 aktives NS-Parteimitglied, Kulturwart, Filmstellenleiter war. Die Verunglimpfung auf dem Transparent galt Frieda Lehmann. Somit war dies sicher alles andere als eine konfliktfreie Hausgemeinschaft.

lehmann3Familie Lehmann zog dann ins Hinterhaus des Gasthauses/Cafe Linde (später Friseur Lauble), von dort letztendlich in die untere Hauptstraße, Adolf-Hitler-Straße, westlich der Bäckerei Kittler, wo sie weiterhin ein Friseurgeschäft betrieb.

Ab diesem Zeitpunkt standen uns nur die bereits genannten Daten der Informations-zentrale in Berlin zur Verfügung. Zu wenig.

Eine Anfrage bei der „Stiftung Sächsische Gedenkstätten“, die auch das Dokumentations- Zentrum in Torgau betreut, verlief negativ. In den ehemaligen Gefängnisunterlagen war ein Oskar Lehmann nicht auffindbar.

lehmann4Entscheidend weiter brachte uns der Hinweis „Bibelforscher“, obwohl Oskar Lehmann in seiner Schulzeit stets am katholischen Religionsunterricht teilgenommen hatte. Das Geschichtsarchiv der Jehovas Zeugen in Selters findet auf unsere Anfrage in den zentralen Opferkarten den Namen Oskar Lehmann nicht – aber einen Hinweis auf Franz und Frieda Lehmann aus Hausach. Beide hätten in Mannheim vor Gericht gestanden. Jedoch keine weiteren Details. Das Landesarchiv Freiburg verwies uns an das Generallandesarchiv in Karlsruhe.

Von dort die Antwort:

            „Im Bestand 507 Sondergericht Mannheim Nr. 6762 fand u.a. ein Verfahren        gegen Johannes Zander aus Oberwolfach sowie Franz und Frieda Lehmann     

            aus Hausach statt.“

Aus den uns komplett vorliegenden Gerichtsunterlagen geht folgendes hervor:

Im Vernehmungsprotokoll der Gendarmerie Wolfach gegen Hans Zander vom 30. Jan. 1937, das an die Staatsanwaltschaft Offenburg und die Gestapo weitergeleitet wurde, taucht der Name Lehmann auf, deren Haus durchsucht und die ebenfalls vernommen wurden.

Der Vorwurf lautet:

            „Illegale Tätigkeit der verbotenen Internationalen Vereinigung

            ernster Bibelforscher.“

Informationen über diesen Vorgang gingen bis an den Volksgerichtshof in Berlin.

Die Eheleute Lehmann, in deren Personalienbogen u. a. vermerkt ist, dass sie „angeblich nicht vorbestraft sind, aber auch keiner Parteigliederung als Mitglied angehörten“ , konnten glaubhaft darlegen, dass sie nach dem Verbot der Bibelforscher 1933 sporadisch Broschüren erhalten, diese jedoch nicht weitergegeben hätten und der Kontakt zu dem entsprechenden Personenkreis mehr und mehr abnahm.

Trotz des Freispruchs waren die Repressalien unübersehbar. So im Urteil vom 26. März 37:

            „Der Lehmann wird von der Ortsgruppe geschäftlich boykottiert,...

            „Es wurde den Beschuldigten erklärt, dass bei einer weiteren Betätigung andere             Maßnahmen ergriffen werden müssen.“

 

Am 12. März vermerkt Kriminalassistent Mai:

            „Die Beschuldigten werden weiterhin durch die Gendarmerie Hausach und Gestapo             Offenburg überwacht und diese werden gegebenenfalls das Weitere gegen sie             veranlassen.“

Gestapo Offenburg:

            „Man wird also auf die Beschuldigten weiterhin achten müssen.“

Wie sah die Situation vor Ort aus?

            Eine Zeitzeugin: „Vor dem Geschäft stand eine Tafel der Ortsgruppe der NSDAP,             worauf zu lesen war, dass die Bürger das Friseurgeschäft meiden sollten.“

Die Schilderung ist schon deshalb glaubhaft, weil die Familie der Zeitzeugin größte Angst um Ehemann und Vater hatten, der sich von dieser Warnung nicht im Geringsten beein-drucken ließ. Sicher kein Einzelfall. Aber für andere war das objektiv vorhandene persönliche Risiko sicher zu groß.

Wir erinnern uns an das Prozessdatum: Febr./März 1937.

Frieda Lehmann starb am 19.04.1938 im Alter von 51 Jahren

Franz Lehmann starb am 24.12.1939 im Alter von 54 Jahren.

Welche Konsequenzen hatte diese öffentliche Ausgrenzung für die Kinder, für Oskar?

Lag hierin die Ursache für seine Fahnenflucht begründet? Wir wissen es nicht.

Belegt ist die Einberufung zur 14. Landwehr-Division in Freiburg 1939, die am Westfeld-zug teilnahm. Oskar Lehmann desertierte während eines Fronturlaubes, wurde verraten.

Ein Zeitzeuge:

            „Die Hitler Jugend hat nach ihm gesucht, auch ich war dabei.“

Nach seiner Verhaftung wurde er am 18. Dezember 1940 von einem Kriegsgericht als „wehrunwürdig“ aus der Armee ausgeschlossen. Was passierte jedoch in der Zeit von Dezember 1940 bis Februar 1943?

Kristina Brümmer-Paulys Buch: „Desertion im Recht des Nationalsozialismus“

half, Lücken zu schließen:

            „...auf Verlust der Wehrwürdigkeit war zu erkennen bei einer Verurteilung zum

               Tode oder einer Zuchthausstrafe...“

            „...der Verurteilte wurde dann in der Regel in eines der sogenannten Ems-

               landlager überwiesen“

            „...zu einer Bewährungstruppe (z.B. 561/Skierniewice) sollte er dann versetzt  

               werden, wenn die eigene Truppe weder an der Front, noch an schwierigen

            oder gefahrvollen Umständen eingesetzt war...“

            „...Verurteilte, ..., mussten vorher mindestens einen Monat im Wehrmachtsgefängnis Torgau Fort-Zinna überprüft werden.“

Marcus Herrberger, ein weiterer hilfreicher Informant, bestätigt diese Darstellung durch vergleichbare Schicksale von Jehovas Zeugen.

So ist davon auszugehen, dass nach dem Urteil des Kriegsgerichts die Einweisung in eines der KZ-Emslandlager (Esterwege, Aschendorfer Moor, Brual-Rhede, Börgermoor) erfolgte. In dem einzig verbliebenen Brief bestätigt Oskar Lehmann diesen Weg und schreibt: 

Ostfront, 29. April 1943      

 

Lieber Schwager ...,

 

            deinen lang erwarteten Brief habe ich heute dankend erhalten. Ich kann dich in deinem Brief ganz gut verstehen, und ich glaube, mündlich hätten wir uns sehr viel       zu erzählen. Das eine kannst du mir glauben ..., dass ich während meiner Zeit was           gelernt habe.

            Ich glaube, dass ich heute jeden Menschen so einschätzen kann, wie er ist, denn             dreieinhalb Jahre mit 2500 Mann zusammen aller Stände und Berufe, ob Arbeiter         oder Arzt oder vom Film irgendwer, vom Schützen bis zum Major, da war alles            beisammen. Das eine kann ich sagen, dass gerade die studierten Intelligenten am   meisten runter kamen. Da kamen Sachen vor, die du mir kaum glauben würdest.            Aber ich will im Brief nicht näher darauf eingehen, würde zu weit führen, du wirst           mich ja verstehen. ...

 

Im weiteren Verlauf berichtet er, dass er seinen Beruf ausüben konnte und für ihn das Leben dadurch etwas Erträglicher war.

Aus diesen Lagern wurden ab Ende 1942, Anfang 1943 regelmäßig ehemalige Soldaten in das Wehrmachtsgefängnis Torgau Fort Zinna überführt und dort auf ihre „Tauglichkeit“ überprüft. Eine „Überprüfung“, die viele nicht überlebten, dauerte ca. 4 Wochen. Wer als „tauglich“ befunden wurde, bekam seine „Wehrwürdigkeit“ wieder verliehen – man benötigte ja jeden Soldaten für den Endsieg – und wurde der Bewährungseinheit 500 zugewiesen.

Bereits ab April 1941 wurde die Bewährungseinheit 500 aufgestellt und im Osten eingesetzt. Die Einheit von Oskar Lehmann war im Frühjahr 1942 in Skierniewice stationiert und wurde dort für den Fronteinsatz ausgebildet.

Am 22. Febr. 1943 wird Oskar Lehmann an die Nordfront nach Tossno verlegt und schreibt in besagtem Brief aus seiner Stellung südlich des Ladogasees an der Newa:

            „Möge Gott uns allen einen baldigen Frieden schenken. In dieser Hoffnung will ich             schließen und grüße dich herzlich, dein Schwager Oskar.“

 

Im Felde, den 20. August 1943

 

            Ich muss Ihnen die traurige Mitteilung machen, dass Ihr Bruder, der Schütze Oskar             Lehmann, ... in meinem Feldlazarett ...an den Folgen der Verwundung gestorben          ist.

            Ihr Bruder wurde durch einen Granatsplitter schwer am Kopf verwundet.

            ... In den Tagen seines Hierseins war Ihr Bruder ohne Bewusstsein und ist am 19.08.1943 um 18.05 Uhr ruhig und sanft entschlafen, ... .

            Beigesetzt wird er in Tossno auf dem Ehrenfriedhof bei der Schule an der Rollbahn             Petersburg – Moskau 300 mtr. östl. der Brücke im Einzelgrab No. 1869. Ich werde       bei der Beisetzung selbst zugegen sein.

            ...

            In mitfühlender Anteilnahme Grüße ich Sie.

           

            Dr. Staudt

            Oberstabsarzt und Chefarzt.

Ein unerwartet persönlicher Brief, wenn man die Situation an diesem Frontabschnitt zum Maßstab nimmt. An Oskar Lehmanns Todestag, dem 19. Aug. 1943, fallen weitere 65 Kameraden seiner Einheit. Jeder 2. Soldat einer Bewährungskompanie hat im Krieg sein Leben verloren.

Etwa 80 000 deutsche Soldaten, darunter auch Oskar Lehmann fanden auf dem im Jahre 2000 der Öffentlichkeit übergebenen Soldatenfriedhof St. Petersburg-Sologubowka ihre letzte Ruhe. Er ist die weltweit größte deutsche Kriegsgräberstätte.

lehmann5„Hoffentlich geht es mir auch weiter gut, und wenn Gott weiter seinen Schutz über mich walten lässt, werde ich vielleicht noch gesund zurückkehren. Wenn nicht, dann hat das Schicksal es anders
gewollt.“