Der Sebiat
Wenn man in Hausach die früheren Originale aufzählen müsste - es gäbe bestimmt eine lange Reihe - dürfte der „Sebiat“ nicht fehlen. Schon sein Name fällt aus dem üblichen Rahmen und könnte sich als liebkosende Abkürzung von Sebastian ableiten, einem volkstümlichen Heiligen, der im Kirchspiel seit Jahrhunderten große Verehrung genoss. Unser Sebiat gehörte zum ehrbaren Stamm der Eisenbahner, die dem Städtchen immer mehr das Gepräge gaben, nachdem die Bahn unter der Burg Husen vorbeischnaubte und dann den Weg den Schwarzwald und das Kinzigtal hinaufgefunden hatte.
Bei der Bahn beschäftigt zu sein hieß, eine gesicherte Existenz zu haben und innerhalb der Bürgerschaft im Ansehen zu stehen. Deshalb hatten die heiratslustigen Mädchen bei ihren Eltern ein leichtes Spiel, wenn sie erklären konnten, dass ihr Liebster „bi de Bah isch“. Eine gewisse gehobene Stellung im Kreis der Eisenbahner nahmen die Lokomotivführer ein, denn sie zählten zu den höchstbezahlten Beamten im Städtchen und konnten sogar geschniegelt und gebügelt mit Krawatte zum Dienst erscheinen, nachdem zuvor der Heizer die Dampflok betriebsbereit gemacht hatte. Die Wohlhabenheit der Lokführer zeigte sich dann auch im Bau eines Eigenheimes, das fast einer nach dem anderen erstehen ließ.
Zu dieser achtbaren Gilde der Lokomotivführer gehörte der Sebiat. Noch mehr, durch die Schicht-arbeit und die „Ruhetage“ verfügte er über viel Freizeit, die er als Waidmann zusammen mit dem ,,Steinhauer-Fridlin“ und dem „Steinhauer- Sepp“ gerne draußen in Gottes freier Natur verbrachte. Doch ein guter Jäger ist er nie geworden, und das räumte er gerne ein, denn er brachte es nur sehr schwer über das Herz, einem Tierlein ein Leid anzutun. Deshalb sprach er stets beim Anlegen der Flinte: „O, Häsle, hau ab, sunsch mueß i die verschieße!“ Mehr Glück hatte dafür der Sebiat beim Angeln und Fischen. Darum konnte er immer wieder hinter dem “Ratskeller“ zusammen mit dem Wirt aus einem großen Zuber die gemeinsam gefangenen Fische den Hausacher Frauen zum Kauf anbieten. Seine besondere Liebe aber galt dem deutschen Lied. Er war deshalb nicht nur eine unentbehrliche Stütze im heimischen „Liederkranz“, vielmehr quoll sein Herz über, wenn irgendwo Gesang zu hören war.
Auch konnten sich die Hausacher, besonders die Kinder, über seine Spendierfreudigkeit nicht beklagen. Vornehmlich während der „hohen Feiertage“, der ,,Fasnet“, ließ er so manche Mark springen, oder er verließ im ,,Burghof“ flugs die frohe Runde und rannte zum ,,Metzger-Winterer“, um dort einige Meter „Servelat-Würstchen“ zu kaufen. ln die heimelige Wirtsstube zurückgekehrt, öffnete er das Fenster und verteilte den Wurstsegen an die Vorübergehenden. Allerdings, ein kleiner Tribut musste entrichtet werden: jeder hatte seine Wurst in ein gewisses mit Senf gefülltes ,,Gefäß“ zu tunken. . .
Zur sprichwörtlichen Freigiebigkeit gesellte sich aber im häuslichen Raum auch die Sparsamkeit, die man jedoch nicht mit Geiz vergleichen kann, denn wenn die Hausfrau vorstellig wurde mit: „He, Sebiat, mir bruche des un säll“, dann knauserte er auch nicht. Nur auf einem Gebiet blieb er unerbittlich: die Kassenführung blieb ihm alleine Vorbehalten, ebenso der Einblick in die Finanzen.
Nur einmal musste er kurz das Heft aus der Hand geben, als ihn eine schwere Krankheit ans Bett fesselte und er nun wohl oder übel seine Frau an den Bahnhof schickte, um den Monatslohn abzuholen. Als das treue, geschäftige Weiblein, das nie im Leben je einen Gehaltsstreifen ihres Mannes gesehen hatte, auf die Bahnhofskasse kam, musste sie beim Aufzählen des Geldes zunächst Mund und Augen weil aufsperren. ,,Des ka nit stimme, gucke doch noch ämol, ihr hen eich bstimmt verrechnet. Sovill Gäld verdient doch nit mi Sebiat“, wehrte die Frau ab und wollte den Kassierer vor Schaden bewahren. Es stimmte, wies doch auch der Gehaltszettel die gleiche Summe aus.
„Du, Sebiat“, drang deshalb die Ehegefährtin nach der Rückkehr in den armen Sünder ein, „des ha i jo gar nit gwißt, dass du so ä Huffe Gäld verdienst. Vu däm hasch du mir nie ebbis vezellt, du häsch bloß allbott gjommert un. . .“ Je länger die Predigt dauerte, umso tiefer sank der Sebiat in die Kissen und wäre am liebsten in den Federn verschwunden. Dann aber holte er tief Luft, seine listigen Äugen wurden noch kleiner, und langsam schob er sich wieder aufwärts, um treuherzig, arglos und im Ton der Überzeugung, gleichsam das Gewitter beruhigend, zu entgegnen: „Weisch, Mueder, de bruchsch nit so mit mir debere un schelte. Weisch“, und jetzt schluckte er noch einmal, damit seine Worte auch an entsprechendem Gewicht zunahmen, „des Gäld ghert nit mir allein. Mit däm Gäld mueß i noch de Heizer zahle, un no bliebt nimmi vill iebrig. .
Des Sieges gewiss, huschte ein schalkhaftes Lächeln über das Gesicht des Kranken. Langsam sank er in die Kissen zurück und freute sich, dass der Heizer seinen Ehefrieden gerettet hatte.
(Aufsatz von Kurt Klein)