Pulverhiisle
Es war im Sommer 1945 gegen Abend, als das Städtchen Hausach von einer donnernden Explosion erschüttert wurde. Im Stadtteil zwischen Gummenwald und Kirche wiesen alle Ziegeldächer große Löcher und Beschädigungen auf. Eine gewaltige Druckwelle erschütterte die Häuser, die meisten der geschlossenen Fensterscheiben auf der Waldseite gingen zu Bruch. Ein Nachbarsmädchen stand auf der Saarstraße mit einem Kopfverband, sie hatte Schnittwunden durch umherfliegende Glasscherben erlitten.
Die Bewohner waren sehr erschreckt, der Krieg war doch seit Monaten vorbei und die französischen Besatzer waren noch zahlreich im Ort mit Frauen und Kindern. Die Anwohner standen auf der Straße und blickten zum Wald hoch, wo sich eine Schneise abgebrochener Tannenbäume zeigte. Kein Zweifel, das Pulverhiisli war explodiert.
In dem kleinen Zementbunker auf halber Höhe zum Schlossberg war seit Jahrzehnten Schwarzpulver deponiert, das für die Sprengungen an den Steinbrüchen benötigt wurde. Er war am Schlossbergweg in den Hang integriert und durch eine Metalltür mit drei oder vier Luftlöchern verschlossen. Ein kleines Rauchverbotsschild war angebracht. Beim ersten Inspektionsgang um unser Haus registrierte ich den Schaden, 5 – 6 qm der Falzziegel waren zerbrochen und lagen zerstreut auf dem Speicher oder auf dem Erdboden. Der Vater war noch in Gefangenschaft, ich war 12 Jahr alt und wusste, was zu tun war. Mit allen Pflichten ums Haus vertraut, stellte ich die Holzleiter auf und suchte zunächst die heil geblieben oder leicht beschädigten Ziegel heraus. Zusammen mit den vorrätigen Ersatzziegeln unterm Dach oben begann ich, auf den Sparren balancierend, das Loch zu decken, es fing gerade an, leicht zu regnen.
Die Tonziegel reichten nicht ganz aus, um alles abzudecken, als ich die Hälfte geschafft hatte, kam Onkel Sepp vorbei, um zu helfen. Als er sah, dass alles ordnungsgemäß verlief, gab er nur noch den Rat, die unteren zwei Reihen vorläufig mit Segeltuch abzudecken, bis neue Ziegel beschafft waren. Sonst war nichts mehr zu tun. Höchstens noch, sich in der Nachbarschaft umzuschauen, wo die Schäden ähnlich waren, oder den Explosionskrater zu inspizieren. Was für ein Loch am steilen Hang! Die Offiziellen der Stadt waren schon abgezogen, ein paar ältere Männer rätselten noch über die Ursache, ohne eine Antwort zu finden. Die starken Fichten und Tannen auf 20 Meter Breite waren auf halber Höhe abrasiert, zersplitterte Stümpfe ragten aus der Schneise, ein Chaos von Wipfeln und Ästen zog sich den Hang hinunter. Es wurde dunkel und ich beschloss wie einige andere, am nächsten Tag „Holz zu machen“.
So war es dann auch. Am nächsten Vormittag waren einige Anwohner, Frauen und Kinder, schon dabei, ihre rationierten Holzvorräte zu vergrößern. Mit kleinen Äxten oder dem speziellen „Sässli“- Haumesser bewaffnet, hackten sie zuerst die längeren Äste ab, die zu einem halben Dutzend gebündelt, leicht ins Städtli zu schleifen waren, ich hatte Erfahrung damit, es war ja eine meiner Aufgaben, immer für genügend Brennholz zu sorgen, reiner Spaß oder Routine für mich und andere Buben. Ich zog auch einen 4 Meter langen Baumwipfel am Seil bis ans Haus hinunter, glücklicherweise nur 100 Meter vom Waldrand entfernt.
Das Gerücht wurde laut, dass zwei marokkanische Soldaten seit ihrem Kontrollgang vermisst würden, die Kommandantur zählte eins und eins zusammen und folgerte, dass die Beiden eventuell Schießübungen auf die Löcher in der Stahltür gemacht hatten, mit durchschlagendem Erfolg. Es war heiß den Tag über, immer mehr Leute kamen, um Leseholz zu sammeln; als plötzlich ein Junge seine Mutter rief, dass ein Schuh unter dem Gestrüpp liegen würde.
(Lothar Sonntag)
Eingangstüre in den Stollen / Pulverhiisle im Gummenwald,
Gezeichnet von Herbert Moriz im Mäzr 2021 nach dem Gedächtnis als 11jähriger Knabe
Zum Artikel „Pulverhiisle“ schreibt Paul Goetze aus Halifys / Nova ScotiaKanada
Das brachte mir einige Erinnerungen zurück. Eigentlich war ich ein Augenzeuge des Unglücks. Ich sah gerade aus unserem Küchenfenster, als ich eine Tanne senkrecht in die Luft fliegen sah - wie eine Rakete, und einen Sekundenbruchteil später die gewaltige Explosions-Detonation hörte.
Das ganze Haus bebte und der Verputz rieselte von der Gipsdecke unserer Wohnung, ebenso in Flur und Treppenhaus. Ich glaube, es sind ein oder zwei Fenster kaputt gegangen, und ich bin sicher, dass Mutti sehr aufgebracht war gegenüber Robert, weil sie dachte, er hätte wieder mal Munition ins Haus gebracht und damit experimentiert.
Als ich später zum Schlossberg hoch ging, trat ich direkt neben einer Ruhebank im Gummenwald auf einen Brustkorb eines französischen Soldaten und hatte in den Nächten danach Albträume.
Wohnung der Familie Goetze, Frontseite-Fenster Schlafzimmer und Wohnzimmer,
das beschriebene Küchenfenster ist rechts davon, verdeckt